Die im Frühjahr 2021 zur Eindämmung von Neuinfektionen mit dem Coronavirus erlassenen Allgemeinverfügungen des Märkischen Kreises vom 26. März 2021, 8. April 2021 und 16. April 2021 waren Gegenstand mehrerer am 16. März 2023 vor der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg verhandelter Klageverfahren. Dabei erwiesen sich die jeweils beanstandeten Regelungen als rechtmäßig.

I. Gegenstand des Klageverfahrens 6 K 812/21 war die im Zeitraum vom 29. März 2021 bis zum 18. April 2021 geltende Anordnung von Kontaktbeschränkungen für den privaten Raum. In diesem Zeitraum war die vom Deutschen Bundestag im März 2020 festgestellte epidemische Lage von nationaler Tragweite noch gegeben. Die beanstandete Regelung der insoweit maßgeblichen Allgemeinverfügung des Märkischen Kreises vom 26. März 2021 erlaubte Kontakte nur zwischen Personen des eigenen Hausstandes (ohne Personenbegrenzung) sowie zwischen Personen eines Hausstandes und höchstens einer weiteren Person (abweichende Regelungen gab es für die Osterfeiertage 2021). Der Märkische Kreis hatte zur Begründung der Allgemeinverfügung ausgeführt, die 7-Tage-Inzidenz habe im Kreisgebiet seit Inkrafttreten der Coronaschutzverordnung vom 5. März 2021 nachhaltig und signifikant über dem Wert von 100 gelegen. Mutationen – insbesondere die noch leichter als das Ausgangsvirus übertragbare britische Variante B.1.1.7 – hätten kreisweit einen überdurchschnittlich hohen Anteil an den Neuinfektionen gehabt. Die Virusverbreitung sei nicht auf bestimmte Einrichtungen oder Orte eingrenzbar gewesen und habe sich als diffus dargestellt. Die anhaltende Viruszirkulation mit zahlreichen Ausbrüchen unter anderem in Privathaushalten erfordere eine konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten. Nach den Erkenntnissen aus der Kontaktnachverfolgung seien Infektionsketten vermehrt auf private Kontakte zurückzuführen. Ohne Einschränkungen im privaten Raum seien daher eine Entlastung des Gesundheitssystems und ein Absinken der Infektionszahlen nicht zu erwarten.

Das Gericht hat die – nach Ablauf der Gültigkeit der Regelung auf die nachträgliche Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit umgestellte – Klage nunmehr mit der Begründung abgewiesen, die in dem dargestellten Umfang angeordneten Kontaktbeschränkungen seien im maßgeblichen Geltungszeitraum zur Erreichung legitimer infektionsschutzrechtlicher Ziele objektiv notwendig gewesen. Insbesondere habe der Märkische Kreis in der Begründung der Allgemeinverfügung ausreichend deutlich gemacht, dass und weshalb er von der in der Coronaschutzverordnung ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales über die Verordnung hinausgehende zusätzliche Schutzmaßnahmen anzuordnen. Die Inzidenzzahl habe Ende März 2021 deutlich über 100 und über dem Landesdurchschnitt gelegen; 83 % der im Kreisgebiet verfügbaren Intensivbetten seien belegt gewesen, wobei der Anteil von Covid-Patienten bei 27,45 % gelegen habe. Auch habe das Robert-Koch-Institut Zusammenkünften in Innenräumen im Frühjahr 2021 einen hohen Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen zugeschrieben.

Der Märkische Kreis hätte auch nicht davon ausgehen müssen, dass das Ziel der effektiven Reduzierung von Kontakten durch andere Regelungen oder eine andere Ausgestaltung der Kontaktbeschränkungen gleich wirksam, aber mit geringeren Grundrechtseinschränkungen, hätte erreicht werden können. Ausnahmen von Kontaktbeschränkungen für damals bereits geimpfte oder in der Vergangenheit bereits mit dem Coronavirus infizierte Personen seien auch nicht angezeigt gewesen, da zum damaligen Zeitpunkt nicht klar gewesen sei, dass dieser Personenkreis keine Reinfektion erfahren und von ihm auch kein Infektionsrisiko mehr ausgehen konnte. Ausgangsbeschränkungen, die von der Klägerin des Verfahrens als milderes Mittel benannt worden seien, hätten tatsächlich eine noch höhere Eingriffsintensität besessen.

Die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen für den Einzelnen und die Allgemeinheit seien vom Kreis angemessen berücksichtigt worden. Da Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung im Gebiet des Märkischen Kreises seinerzeit konkret und alltäglich gewesen seien, hätten die durch die Kontaktbeschränkung erheblich eingeschränkten Grundrechtsfreiheiten – wie die allgemeine Handlungsfreiheit und der Schutz der Familie – hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit, für den alle staatliche Stellen Sorge zu tragen hätten, zurücktreten müssen. Im Übrigen seien durch die angegriffene Maßnahme zwar Zusammenkünfte im Bereich von (Groß-) Familien – für einen eng umgrenzten Zeitraum – eingeschränkt worden. Allerdings sei jeder familiär zu pflegende Kontakt auch nach der Regelung der Allgemeinverfügung – zumindest zeitlich nacheinander bzw. über die Osterfeiertage – möglich gewesen. Da durch die Kontaktbeschränkungen für den privaten Raum weder die Nutzungsmöglichkeiten der Inhaber von Wohnungen ganz oder teilweise noch hierdurch die Privatheit der Wohnung aufgehoben worden seien, sei der Schutzbereich des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung nicht berührt.

II.         Die Frage der Rechtmäßigkeit von infektionsschutzrechtlichen Ausgangsbeschränkungen in den Allgemeinverfügungen des Märkischen Kreises vom 8. April 2021 (Geltungsdauer 9. bis 18. April 2021) und 16. April 2021 (Geltungsdauer 19. bis 26. April 2021) war Gegenstand der von einem in Menden lebenden Bürger geführten Klageverfahren 6 K 934/21 und 6 K 1044/21 und derjenigen eines Neuenrader Einwohners (6 K 1090/21). In den entsprechenden Regelungen wurde für den Zeitraum von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr des Folgetages der Aufenthalt von Personen außerhalb einer Wohnung oder Unterkunft untersagt; ausgenommen hiervon waren Aufenthalte zur Abwendung von Gefahren für Leib, Leben oder Eigentum, zur Berufsausübung, zur Ausübung des Dienstes oder eines Mandates, zur Berichterstattung durch Medienvertreter, für Partner (nicht-)ehelicher Lebensgemeinschaften mit getrennten Wohnungen (insoweit nur in der Allgemeinverfügung vom 8. April 2021), zur Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts, der unaufschiebbaren Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen und Minderjähriger sowie der Begleitung von Sterbenden, der Versorgung von Tieren und Aufenthalte zu ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Zwecken. Die Allgemeinverfügungen vom 8. und 16. April 2021 hatte der Märkische Kreis im Wesentlichen zunächst mit den Gesichtspunkten begründet, die er auch schon seiner Allgemeinverfügung vom 26. März 2021 zu Grunde gelegt hatte, und darüber hinausgehend weiter ausgeführt: Da alle bislang unternommenen Anstrengungen und angeordneten Maßnahmen – wie diejenigen in der Allgemeinverfügung vom 26. März 2021 – nicht zu einem Absinken des Inzidenzwertes unter einen Wert von 100 geführt hätten, sei es zur Verringerung der Gesamtzahl infektiöser Kontakte und damit zur Verringerung der Zahl der Neuinfektionen erforderlich, eine weitere Maßnahme anzuordnen. Diese sei geeignet, weil durch sie private Zusammenkünfte, die erheblich zum Infektionsgeschehen beitrügen, weiter eingeschränkt würden. Studien hätten die Wirksamkeit von Ausgangsbeschränkungen zur Reduzierung der Zahl von Kontakten und der mit ihnen einhergehenden Infektionen bestätigt.

Zur Begründung der Klagen, die nach Ablauf der Geltungsdauer der Allgemein-verfügungen als Fortsetzungsfeststellungsklagen fortgeführt wurden, ist im Wesentlichen vorgetragen worden: Da der Märkische Kreis ein großer Flächenkreis sei, sei es unbillig gewesen, eine einheitliche Maßnahme zu ergreifen. So habe etwa die 7-Tages-Inzidenz in Menden am 8. April 2021 lediglich bei 96,94 und damit – bei im Übrigen sinkender Tendenz – unter 100 gelegen. Wenn alle zuvor unternommenen Anstrengungen nicht zu einer Senkung der Inzidenz unter 100 geführt hätten, werde deutlich, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen ungeeignet gewesen seien. Sie hätten dann aber auch nicht als Grundlage dafür dienen dürfen, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts des im Erlasszeitpunkt mehr als ein Jahr zurückliegenden Pandemiebeginns habe sich der Erlass einschneidender Maßnahmen lediglich auf Verdacht nicht mehr rechtfertigen lassen. Im Übrigen hätten die zuvor ergriffenen Maßnahmen durchaus ausgereicht, wenn sie hinreichend kontrolliert und durchgesetzt worden wären. Ein Vollzugsdefizit könne die Ausgangsbeschränkung als „ultima ratio“ nicht erforderlich machen. Unplausibel sei, wenn man davon ausginge, durch Ausgansbeschränkungen könnten private Besuche innerhalb der geregelten Zeiten kontrollierbar weiter eingeschränkt werden, denn man könne Treffen auch um 20.55 Uhr beginnen und erst um 05.05 Uhr beenden.

Die Kammer führt in ihren klageabweisenden Urteile aus: Es komme nicht darauf an, ob die 7-Tages-Inzidenz in einzelnen Gemeinden des Kreisgebietes unter 100 gelegen habe, da sowohl das Infektionsschutzgesetz als auch die einschlägigen Regelungen der Coronaschutzverordnung allein auf die Kreise (und kreisfreien Städte) abstellten. Die Ausgangsbeschränkungen seien aus der maßgeblichen ex ante-Betrachtung auch geeignet gewesen, die weitere Verbreitung des Coronavirus einzudämmen und seine Verbreitungsgeschwindigkeit zu reduzieren. Mitte April 2021 seien 83 % der im Kreisgebiet verfügbaren Intensivbetten belegt gewesen, wobei der Anteil von Covid-Patienten bei 27,45 % gelegen habe. Die Annahme, dass durch eine Reduzierung physischer Kontakte die Ausbereitung des – zumal hinsichtlich der Variante B.1.1.7 – besonders leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus verlangsamt und die Infektionsdynamik verzögert werden könne, sei fachwissenschaftlich abgesichert gewesen. Auch wenn das Infektionsgeschehen im Frühjahr 2021 in vielen Bereichen diffus gewesen sei und sich nicht auf bestimmte Einrichtungen, Orte oder Aktivitäten habe eingrenzen lassen, sei die vom Kreis in diesem Zusammenhang herausgestellte Erkenntnis, dass sich die Infektionsketten vermehrt auf private Kontakte zurückführen ließen, gleichwohl zumindest plausibel gewesen. Zahlreiche Studien hätten darauf hingewiesen, dass sich ein Großteil der Ansteckungen im privaten Bereich vollzogen habe. Die Vermutung des Klägers, die Maßnahme habe lediglich zu einer zeitlichen Vorverlagerung (und Verlängerung) der Kontakte in Innenräumen geführt, sei nicht belegt. Derartiges möge zwar in Einzelfällen geschehen sein. Dass deshalb aber die Maßnahme in rechtserheblicher Art und Weise (völlig) ungeeignet gewesen sein solle, sei nicht ersichtlich. Bereits vor dem Hintergrund typischer Tages- und Wochenrhythmen in der Bevölkerung erscheine es lebensfremd, die Möglichkeit einer generellen Vorverlagerung anzunehmen. Dass Ausgangsbeschränkungen der vorliegenden Art auch nicht infektionsträchtige Aktivitäten wie z.B. nächtliches Spaziergehen von Einzelnen, untersagt hätten, habe ihrer grundsätzlichen Eignung zur Eindämmung einer Infektionsgefahr nicht entgegengestanden.

Die monierten Regelungen in den Allgemeinverfügungen des Märkischen Kreises seien auf der Grundlage der im maßgeblichen Zeitraum bestehenden Erkenntnislage auch nicht weiter gegangen, als es der Schutz des Gemeinwohls erfordert habe. Für die Annahme, dass weniger grundrechtsbelastende, aber gleich wirksame Regelungsalternativen in Betracht gekommen wären, hätten angesichts des im Frühjahr 2021 vorherrschenden besorgniserregenden Infektionsgeschehens auch und gerade im Märkischen Kreis sowie des noch geringen Anteils geimpfter Personen an der Gesamtbevölkerung keine Anhaltspunkte bestanden. Zudem dürften bei lebensnaher Betrachtung die bekannten Schutzmaßnahmen (wie das Abstandhalten und das Tragen von Masken) in Alltagssituationen im vertrauten privaten Bereich von einem gewissen Anteil der betroffenen Personen – absichtlich oder unabsichtlich – nicht in gleichem Maße wie im öffentlichen Raum eingehalten worden sein. Auch sei nicht ersichtlich, dass die Infektionslage durch gesteigerte Kontrollen der ohnehin bestehenden Kontaktbeschränkungen (im privaten wie im öffentlichen Raum) zu verbessern gewesen wäre. Dass ein Kontroll- oder Vollzugsdefizit existiert habe, sei weder dargetan noch erkennbar. Zudem sei eine relativ umfassende Kontrolle nächtlicher Ausgangsbeschränkungen und damit die indirekte Durchsetzung des Verbots privater Treffen zur Abend- und Nachtzeit einfacher möglich gewesen. Mit Blick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr wären auf einzelne Gemeinden im Kreisgebiet begrenzte Ausgangsbeschränkungen nicht in gleicher Weise geeignet gewesen wie eine kreisweit geltende Beschränkung.

Die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung sei auch vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vorgabe zulässig gewesen, dass auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit ohne Ausgangsbeschränkungen „erheblich gefährdet“ wäre. Hierfür spreche die von dem Märkischen Kreis in der Begründung der Allgemeinverfügung aufgezeigte Entwicklung der Infektionslage im Kreisgebiet mit einer signifikant und nachhaltig über dem Wert von 100 liegenden 7-Tages-Inzidenz. Zudem seien zuvor bereits verschiedenste Mittel mit dem Ziel der Kontaktreduzierung ergriffen worden, ohne dass die Inzidenz zurückgegangen sei.

Den durch die Ausgangsbeschränkung bewirkten schweren Eingriffen in die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf körperliche Bewegungsfreiheit hätten Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung (Leben und Gesundheit) gegenüber gestanden, zu deren Wahrung bei Erlass der Allgemeinverfügung und während ihrer Geltungsdauer dringlicher Handlungsbedarf bestanden habe. Der Märkische Kreis habe zudem durch die Regelung der verschiedenen Ausnahmetatbestände in der Allgemeinverfügung entgegenstehende Belange berücksichtigt, wobei neben ausdrücklich genannten Gründen auch ähnlich gewichtige und unabweisbare Gründe anerkannt worden seien, weshalb unzumutbare Härten im Einzelfall vermieden werden konnten und die Intensität der Grundrechtseingriffe gemildert gewesen sei. Letztlich sei noch zu berücksichtigen, dass die Ausgangsbeschränkung für den Zeitraum von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr nur einen verhältnismäßig geringen Anteil der Gesamtmobilität der Bevölkerung betroffen habe und die Maßnahme – in jeder Allgemeinverfügung – auf einen nur recht kurzen Geltungszeitraum befristet gewesen sei.

Gegen die Entscheidungen kann jeweils ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden, über den das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheiden würde.

 

Aktenzeichen:         6 K 812/21, 6 K 934/21, 6 K 1044/21 und 6 K 1090/21