Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 eine vom Landrat des Hochsauerlandkreises erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von elf Windenergieanlagen in Marsberg südwestlich des Ortsteils Meerhof aufgehoben. Nunmehr liegt das Urteil in schriftlicher Form vor.

Die am 9. Februar 2016 erteilte und nachfolgend zweimal – letztmals mit Bescheid vom 23. Januar 2018 – abgeänderte Genehmigung hatte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. angegriffen und zur Begründung seiner Klage ausgeführt, das genehmigte Vorhaben verstoße gegen Vorschriften bezüglich der Umweltverträglichkeitsprüfung, des dem Schutz der Umwelt dienenden Bauplanungsrechts und des Naturschutzrechts. Dabei hatte der Kläger insbesondere Ausführungen zu aus seiner Sicht signifikant erhöhten Risiken für die besonders geschützten Vogelarten Wiesenweihe, Rotmilan, Mornellregenpfeifer und Wachtel gemacht, denen auch durch die in der Genehmigung angeordneten Ausgleichsmaßnahmen nicht hinreichend entgegen getreten worden sei.

Die Kammer hat die Genehmigung aufgehoben, weil diese hinsichtlich der besonders geschützten Vogelarten Rotmilan und Wiesenweihe gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsgebot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutz-gesetzes (BNatSchG) sowie mit Blick auf die Art Mornellregenpfeifer jedenfalls gegen das Störungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verstößt und zur Behebung dieser artentschutzrechtlichen Verstöße weder eine Entscheidungsergänzung noch ein ergänzendes Verfahren in Betracht kommen.  

Bei der Genehmigung von Windenergieanlagen steht der Genehmigungsbehörde grundsätzlich eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu. Allerdings verbleibt für eine solche kein Raum, soweit sich für die Bestandserfassung der von dem geplanten Vorhaben eventuell betroffenen Arten eine bestimmte Methode oder für die Einschätzung, ob von dem Vorhaben ein signifikant erhöhtes Risiko einer Tötung oder Verletzung bzw. einer Störung ausgeht, ein bestimmter Maßstab durchgesetzt hat.

Die Kammer führt in den Entscheidungsgründen des Urteils aus, die Genehmigungsbehörde habe die ihr im Rahmen der artenschutzrechtlich gebotenen Prüfung zur Bestandersermittlung und Bewertung der Kollisionsgefahr zuzugestehende Einschätzungsprärogative im Hinblick auf den Rotmilan schon deshalb fehlerhaft umgesetzt, weil eine zum Gegenstand der Genehmigung gemachte Artenschutzprüfung aus Februar 2014 ebenso wie eine Umweltverträglichkeitsprüfung aus Juli 2015 auf einem unzureichend festgelegten Untersuchungsgebiet beruhten.

Hinsichtlich des Rotmilans und der Wiesenweihe bestehe zudem für den im Nahbereich der Anlagen erfassten Bestand ein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste der Tiere, das durch die von der Genehmigungsbehörde angeordneten (und im Nachhinein mehrfach überarbeiteten) Vermeidungs- und Nebenbestimmungen nicht zureichend gemindert worden sei. So sei etwa nicht nachvollziehbar, dass eine teilweise Abschaltung von Anlagen in der von der Genehmigungsbehörde angeordneten Form tatsächlich zu einem Erfolg führen könne. Auch die Wirksamkeit der Entwicklung von Ausweichhabitaten zur Ansiedlung dieser Vogelarten erscheine angesichts deren geplanter örtlicher Lage und Ausgestaltung zweifelhaft. Ein ausreichendes System zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen, sog. „Monitoring“, sei nicht geschaffen worden.

Für den Mornellregenpfeifer führe der Betrieb der Windenergieanlagen zu einem Verlust des für diesen Zugvogel wichtigen Rastplatzes. Die Kammer hat erhebliche Zweifel, dass der Mornellregenpfeifer die als Ausgleich neu zu schaffende Ersatzfläche aufgrund ihrer Nähe zu den Windenergieanlagen und ihrer Größe und Beschaffenheit annehmen würde. Auch im Hinblick auf diese Vogelart habe die Behörde kein ausreichendes „Monitoring“ eingerichtet.

Aus Sicht der Kammer kam allein eine Aufhebung der erteilten Genehmigung für alle elf Windenergieanlagen in Betracht. Eine Aufteilung dieses Gesamtkonzepts dahingehend, dass die Genehmigung für einzelne Anlagen oder zu bestimmten Betriebszeiten bestehen bleiben könne, scheide schon aus, weil der Windparkbetreiber keinen Verzicht auf bestimmte Anlagen oder Betriebszeiten erklärt habe.

Raum für eine Fehlerbehebung durch eine Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren, die Vorrang vor der Aufhebung der Genehmigung hätten, sah die Kammer nicht. Eine Entscheidungsergänzung durch das Gericht sei bereits ausgeschlossen, da der Behörde ein eigener Spielraum bei der Auswahl und Anordnung von Ausgleichsmaßnahmen zukomme, in den das Gericht durch eine konkrete eigene Vorgabe eingreifen würde. Ein ergänzendes Verfahren zur Behebung der aufgezeigten Fehler in der Genehmigung scheide ebenfalls aus. Denn dies setze jedenfalls die hinreichende Wahrscheinlichkeit voraus, dass die Genehmigung auch tatsächlich durch die Behörde geheilt werde. Eine solche Heilungswahrscheinlichkeit sah die Kammer aber nicht mehr, nachdem der beklagte Hochsauerlandkreis bereits zwei (erfolglose) Versuche unternommen hatte, ein hinreichendes Schutz- und Maßnahmenkonzept umzusetzen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Gericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Be­deutung zugelassen. Der Hochsauerlandkreis sowie der beigeladene Windparkbetreiber können dementsprechend binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Berufung einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.

Die anonymisierte Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE zu finden.

Aktenzeichen: 4 K 459/16