Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg hat mit Beschluss vom 23. September 2021 einen einstweiligen Rechtsschutzantrag der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt Nordrhein-Westfalen e.V. (LNU NRW) gegen den wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss des Kreises Olpe vom 15. Dezember 2020 zur Verlegung eines Gewässers im Zuge der Erstellung des Gewerbegebietes Fernholte im Gebiet der Stadt Attendorn abgelehnt. Die wasserrechtliche Planfeststellung war erforderlich geworden, weil ein innerhalb des Plangebietes  gelegener Gewässerverlauf verlegt werden muss, um die Bauleitplanung für das Gewerbegebiet zu verwirklichen. Bei diesem Gewässersystem handelt es sich um ein nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschütztes Biotop in Gestalt eines Quellbereichs. Gegen den wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss ist derzeit vor Gericht noch eine ebenfalls von der LNU NRW erhobene Hauptsacheklage anhängig. Nach der nunmehr ergangenen Entscheidung der 4. Kammer darf der wasserrechtliche Planfeststellungsbeschluss jedoch trotz des noch laufenden Klageverfahrens vorerst umgesetzt werden.

Die Kammer führt in ihrem Beschluss vom 23. September 2021 aus, der Planfeststellungsbeschluss leide voraussichtlich nicht an Mängeln, die die LNU NRW mit Erfolg rügen könne. Diese hatte neben Verfahrensfehlern bei der Planauslegung eine aus ihrer Sicht unzureichende Bestimmtheit des Planfeststellungsbeschlusses bemängelt und die Planrechtfertigung für das Vorhaben, die Ermittlung und Bewertung der Eingriffs- und Ausgleichswirkungen der geplanten Maßnahmen sowie die Erteilung einer Befreiung und einer Ausnahme vom gesetzlichen Biotopschutz angegriffen.

Der Kreis Olpe hat seinem Planfeststellungsbeschluss vom 15. Dezember 2020 ausdrücklich die Annahme zu Grunde gelegt, dass ein hinreichender Ausgleich des mit der Gewässerverlegung einhergehenden Eingriffs in das bestehende Biotop jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden könne, und wegen der danach unterstellten Zerstörung der unmittelbar überplanten Teile des Biotops für das Vorhaben eine Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) erteilt. Dies ist aus Sicht der Kammer rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG kann von den Verboten des Bundesnaturschutzgesetzes, zu denen auch die Untersagung der nicht ausgeglichenen Zerstörung beziehungsweise erheblichen Beeinträchtigung von Quellbereichen gehört, auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Eine Befreiung ist dabei nicht erst dann notwendig, wenn den Belangen der Allgemeinheit auf keine andere Weise als durch die Befreiung entsprochen werden kann, sondern schon dann, wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Es genügt hingegen nicht, wenn die Befreiung dem allgemeinen Wohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist. Diese Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung sind nach Auffassung der 4. Kammer des Gerichts vorliegend erfüllt.

Die Kammer führt aus, es bestehe zunächst ein ganz erhebliches öffentliches Interesse an der Realisierung eines neuen Gewerbe- und Industriegebiets im Stadtgebiet von Attendorn; diesem solle auch der planfestgestellte Gewässerausbau dienen. Ohne die Gewässerverlegung ergäbe sich eine erhebliche Reduzierung der Nettobaufläche von rund 26 Hektar (nach dem Bebauungsplan „Fernholte“) auf etwa 23 Hektar. Zudem würden ohne die Gewässerverlegung gerade besonders emissionsträchtige Standorte verhindert und damit ein zentrales Anliegen der Planung verfehlt. In Bezug auf die widerstreitenden ökologischen Belange habe der Kreis Olpe im Rahmen seiner nach § 67 BNatSchG vorzunehmenden Abwägung zudem zutreffend zugrunde gelegt, dass zumindest zwei der eigentlichen Quellen des alten Gewässersystems, die für die wertgebenden Arten von besonderer Bedeutung seien, im Sinne einer Eingriffsminderung erhalten blieben.

Es bestehe auch eine bei der Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erforderliche atypische Sondersituation in der Form örtlicher Besonderheiten. Denn im Stadtgebiet von Attendorn stünden keine vergleichbaren Bereiche zur Entwicklung eines zusammenhängenden für ein Gewerbe- und Industriegebiet für insbesondere produzierendes Gewerbe mit einer damit einhergehenden Flächennachfrage mehr zur Verfügung. Diese Ausgangslage rechtfertige die Erteilung der Befreiung.

Ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug des Planfeststellungsbeschlusses sei ebenfalls gegeben, zumal auf der Hand liege, dass weitere erhebliche Verzögerungen des Vorhabens nicht nur zu beträchtlichen Mehrkosten sondern angesichts der seit geraumer Zeit nicht mehr bedienten Nachfrage nach Gewerbe- und Industrieflächen auch zu nachhaltigen Schäden für den Wirtschaftsstandort Attendorn führen könnten.

 

Gegen die Entscheidung vom 23. September 2021 kann Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingelegt werden.

Aktenzeichen: 4 L 674/21